Samstag, 23. Oktober 2010

Tagesimpuls

Jeder Tag beginnt für uns mit Kaffeetrinken auf der Veranda. Wir sitzen da oft schweigend bei ruhiger Musik, betrachten die Vögel und die Pflanzen und tauschen Atem und Liebe mit der Natur. Oft erhalte ich da einen Impuls für den Tag, ein Motto, mit dem ich arbeiten kann. Manchmal pflanzt sich schon im Halbschlaf ein Gedanke ein oder stellt sich später im Bad ein. So kam vor ein paar Tagen der Gedanke: Ich bin der, der beim Duschen nicht nass wird. Der heutige Tagesimpuls lautet: Gott übt an mir Barmherzigkeit. Warum soll ich der Richter über Andere und über mich sein?

Die Energie, die in diesen Impulsen mitschwingt, kann im Laufe des Tages verflachen Aber es bleibt das Gefühl des Wachsens, des Weiterschreitens. Ich könnte einen eigenen Blog mit Tagesgedanken füllen, wenn ich nicht so (schreib-)faul wäre. Ebenso könnte ich öfters von anderen Internetseiten und Blogs berichten, auf die ich gestoßen bin. Vor kurzem las ich einen Text, der mich zum Heulen brachte. Auch danach, wenn ich an die Geschichte und die Melodie dachte, kamen mir die Tränen. Aber Weinen tut gut. Es reinigt und öffnet das Herz. Wie das Lachen natürlich auch. Überhaupt meine ich, dass wir mit Emotionen Gott näher kommen als mit Theologie. Ein Gefühl der Geborgenheit und des Geliebtseins ist mehr wert als die gedankliche Beschäftigung mit Nicht-Zweiheit.

Ich fand die Geschichte auf einer Seite mit Texten und Informationen für Gesundheitliche Aufklärung. Sie wurde dort aus dem Blog für Glück und Erfolg von Udo Michaelis übernommen.

Wie jede gute Mutter, die erneut schwanger ist, tat Karen alles was sie konnte, um ihren dreijährigen Sohn Michael auf das neue Baby vorzubereiten. Ärztliche Untersuchungen wiesen darauf hin, dass das Baby ein Mädchen sein würde. Tag für Tag, Abend für Abend, sang Michael seinem Schwesterchen in Mamis Bauch Lieder vor. Es war eine normale Schwangerschaft – bis zur Entbindung. Und dann kamen die Komplikationen. Nach langem Ringen wurde das Baby geboren – aber es schwebte in Lebensgefahr und wurde unter Sirenengeheul in die Neugeborenenintensivstation von St. Mary’s Hospital, Knoxville, Tennessee eingeliefert. Die Kinderärzte sagten der Mutter: “Es gibt sehr wenig Hoffnung. Seien sie auf das Schlimmste gefasst!”
Karen und ihr Mann, Mitglieder der Panther Creek Methodist Church in Morristown, Tenessee, hatten schon ein besonderes Zimmer in ihrem Heim für das Baby zurecht gemacht. Und jetzt mussten sie Reservierungen für einen Platz auf dem Friedhof machen. Der kleine Michael bat dauernd darum, dass er doch seine kleine Schwester sehen könne. “Ich will ihr etwas vorsingen,” erklärte er. Doch Kindern ist der Zutritt zur Intensivstation streng verboten. Doch Karen dachte, wenn Michael jetzt sein Schwesterchen nicht sieht, sieht er es vielleicht niemals. Sie zog ihm einen übergroßen Anzug an, und gemeinsam marschierten sie in die Intensivstation. Die Stationsschwester sah sofort, dass es ein kleines Kind war und fuhr sie an: “Bringen sie sofort das Kind hier raus! Hier sind keine Kinder erlaubt!”
Die sonst eher ruhige Mutter nahm ihren ganzen Mut zusammen, schaute der Stationsschwester mit festem Blick in die Augen und erklärte fest: “Er geht hier nicht weg, bis er seiner kleinen Schwester nicht etwas vorgesungen hat!” Dann ging sie gemeinsam mit Michael zum Bettchen seiner Schwester, wo das Baby drauf und dran war, den Kampf ums Leben zu verlieren. Nach wenigen Augenblicken begann Michael mit der unschuldigen und reinen Stimme eines Dreijährigen zu singen: “Du bist mein Sonnenschein, mein einziger Sonnenschein, du machst mich froh auch wenn die Wolken grau sind …”. Das kleine Baby begann sofort zu reagieren. Der rasende Puls normalisierte sich.
“Sing weiter, Michael”, ermutigte Karen mit Tränen in den Augen. Und Michael sang: “Du weißt gar nicht, Liebes, wie sehr ich dich liebe. Bitte nehmt mir meinen Sonnenschein nicht weg.” Als Michael sang, beruhigte sich das gequälte Atmen des Kindes. Jetzt waren auch die Tränen bereits auf dem Gesicht der Stationsschwester. Am nächsten Tag war das Baby so gesund, dass es nach Hause entlassen werden konnte. Die medizinischen Mitarbeiter nannten das Ganze schlicht ein Wunder.
Quelle: FFAX, Nicole und Sergio Jimenez

Den Song gibt es in unzähligen Variationen im Internet, gesungen von vielen Künstlern und privaten Interpreten. Ich habe dieses Video ausgewählt:

Samstag, 9. Oktober 2010

Oh mein Gott! Vom Beten

Jeden Nachmittag läutete es und sogleich ruhte jede Tätigkeit. Perlenschnüre wurden hervorgeholt und man sah Gruppen von Knaben durch die breiten Gänge wandeln und wenn es nicht regnete über die Höfe schreiten, angeführt von Männern in schwarzen Talaren. Um 16 Uhr war „Rosenkranz“ im Internat. Ich konnte dem nichts abgewinnen und zog mich, als ich so 16 war, gerne in einen Raum hinter der Orgel in der Barockkirche zurück. Auf einem Betstuhl kniend flehte ich Gott an, mich ihn sehen zu lassen. Räucherkerzen unterstützten meine private Andacht.

In jenen Tagen faszinierte mich auch die Sage von einem alten Tempel in der Wüste eines fernen Landes. Hinter einem Vorhang war dort das Bildnis des wahren Gottes verborgen. Wer es allerdings wagte, den Schleier zu heben, konnte Verstand oder Leben verlieren. Nach Jahrzehnten des Suchens und Ringens bin ich überzeugt, den Tempel gefunden zu haben. Mein jugendliches Sehnen hat sich erfüllt. Dabei ist es so einfach.

Ich behaupte, dass die meisten Menschen nicht zu Gott beten sondern lediglich zu der Vorstellung eines fernen Gottes oder Götzens, die sie unreflektiert übernommen haben. Dass ihre Gebete über die Anziehungskraft ihres Egos nicht hinausgelangen und im Orbit ihrer Ignoranz kreisen. An einer Antwort ihres Gottes sind sie nicht interessiert. Manche reden und schreiben über Gott und versuchen andere von ihrem Wissen zu überzeugen. Sie haben Doktortitel in Theologie und Philosophie. Doch eines Tages werden sie wie die professionellen Gottesanbeter zu hören bekommen: „Ihr ruft nun: Herr, Herr!, doch Ich kenne euch nicht. Ihr habt Nietzsche zitiert und die Apostel und Kirchenlehrer, aber auf Meine Worte in euren Herzen habt nicht gehört!“

Bei den Urchristen im Universellen Leben habe ich gelernt, dass man vom Verstandesgebet zum Herzensgebet und weiter zum Seelengebet gelangen soll. Ich habe erlebt, wie wundervoll es ist, wenn aus der Seele von selbst Worte empor steigen, Worte voll Jubel und Dankbarkeit. Doch erst jetzt erfasse ich, was Beten wirklich sein kann, jetzt da der Abstand zwischen mir und Gott geringer wird. Es ist kein großes Verstehen und Bemühen notwendig, nur eine Erkenntnis. Und ich glaube, dass diese Erkenntnis, dieses Bewusstsein den zukünftigen Menschen von dem heutigen unterscheiden wird. In diesem Bewusstsein lebte und lehrte Jesus und es wird die Grundlage für das beginnende Reich des Friedens sein. Wer es versteht, begreift auch, dass es Jesus fern lag darüber zu sprechen oder gar zu schreiben, in wie vielen Tagen Gott die Welt erschaffen hat oder wie das Verhältnis von Vater, Sohn und Heiliger Geist aussieht. Er verlangte nicht die Verehrung Jahwes, sondern wollte den Weg in das Reich Gottes zeigen. Erst auf das Drängen der Jünger lehrte er ein Gebet aus Worten. Das Vater Unser bete ich oft, doch jedesmal anders, jedesmal mit anderen Empfindungen unter den einzelnen Teilen. Es ist ein zeitloses und prophetisches Gebet, das die Macht hat, uns selbst zu verändern.

Wie soll ich nun ausdrücken, wovon ich spreche? Ich bringe es mal auf die Formel: Gott und Gegenwart sind eins. Gott ist nicht fern, weder räumlich noch zeitlich. Wenn ich mir des gegenwärtigen Augenblicks bewusst werde, bringe ich mich in das Bewusstsein Gottes. Mein Atemrhythmus ändert sich. Ich nehme den gegenwärtigen Gott als das große, kosmische Du wahr. Meine Gedanken liegen offen vor ihm. Da ist kein Platz mehr für ausgefeilte Gebetsformeln. Es bleibt ein Stammeln. Oh mein Gott! Mein himmlischer Vater! Und es kommen Empfindungen, die so tief und so echt sind und die mit meinem wahren Wesen verknüpft sind. Empfindungen von Reue und Demut, der Bitte um Vergebung, der Geborgenheit und des Vertrauens, des Geliebtseins und von überströmender Liebe. Es ist keine statische Verehrung, es ist ein Wachsen, ein Reinwerden. Etwas ganz Intimes, mit Worten nur unzureichend wiederzugeben.

Wenn auch die Geschäfte des Tages mich nach außen ziehen, so komme ich immer häufiger in diese göttliche Gegenwart zurück. Und ich knüpfe da an, wo ich aufgehört habe. Es ist immer Gegenwart. Jesus lebte ganz in dieser Gegenwart des Vaters und die neue Generation Mensch wird es auch. Ihr Handeln ergibt sich aus diesem Bewusstsein, ein Leben in Harmonie mit Gott, Natur und Mitmensch erwächst, ein Leben wie die Lilien auf dem Felde. Sein Reich kommt, das tägliche Brot gibt Gott uns heute. Das Leben wird zum Gebet.

Immer und überall kann ich mich dem gegenwärtigen kosmischen Du zuwenden, beim Essen, beim Arbeiten, im Gespräch mit Anderen. Wenn es auch das Ziel ist, ein Leben als vollkommener Mensch zu erreichen wie Jesus es vorgelebt hat, so muss ich mich jetzt doch nicht heiligmäßig geben. Ich darf Worte gebrauchen und kleine Dinge tun, die nicht auf mein Inneres schließen lassen. Fanatismus und Scheinheiligkeit gibt es genug. Die Nähe zu meinem Vater kann mir nichts und niemand nehmen, nicht einmal ich selbst.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Gegenwärtiges

Mal wieder ein Einblick in unser Leben als Auswanderer. Seitdem der Sohn und seine Freundin ausgezogen sind, leben wir zufrieden zu zweit in diesem großen Haus mit Tapeten an den Wänden, drei Bädern (naja, Nasszellen) und drei Zimmern und offenem Wohnraum oben und Wohn- und Esszimmer unten. Der Kühlschrank ist gut bestückt, die Schränke sind vollgestopft mit unnötigen Sachen und der Garten ist reichlich angefüllt mit Sala, Steintischgruppe und unzähligen Pflanzen und Töpfen und Töpfchen. Wir wohnen in einer ruhigen, bewachten Siedlung mit Parks und Seen und Sportanlagen. Nahe am Flugplatz gelegen haben wir gute Verkehrsverbindungen nach allen Seiten. Die Nachbarn sind freundlich und hilfsbereit und beschenken uns häufig mit Esssachen. Wir sind mit uns und dem Leben hier zufrieden. Langeweile kennen wir nicht. Deng arbeitet hingebungsvoll an der Gestaltung des Gartens und ich nütze die gute Internetverbindung. Mittwochs fahren wir zum Pflanzenmarkt auf dem Chatuchak und alle drei, vier Tage besuchen wir eines der Einkaufszentren zum Flanieren, Eisessen, Einkaufen und Japanisch essen im Fuji. Mit dem Taxi die zwei Kilometer zur Hauptstraße und dann 20 oder 30 km mit dem Bus, auch mal mit dem Sammeltaxi durch ländliche Gegenden, da wir ja am Stadtrand wohnen.

Ein lieber Freund meint, dass ich in Luxus leben würde und dies doch eigentlich im Gegensatz zu meinem Streben nach Erleuchtung stehe. Einen Widerspruch kann ich da nicht finden, aber mit dem Luxus hat er wohl recht. Ich darf nicht nur materielle Annehmlichkeiten genießen. Ich gönne mir den Luxus Zeit zu haben und nicht für den Lebensunterhalt arbeiten zu müssen. Ich habe es warm, meistens zu warm, und ganzjährig grünt und blüht es um mich. Ich begegne vielen jungen und lächelnden Menschen. Zu meinem Luxus zähle ich ebenso meine Gattin, mit der ich nun über 35 Jahre verheiratet bin, und die mich mit Liebe bekocht, eben auch oft mit deutscher Küche.

Dabei sind unsere Mittel nicht unerschöpflich. Vielleicht müssen wir später in Deutschland von Unterstützung leben bis wir Rente beziehen können. Aber bis 2012 sollte es reichen, dann ist eh alles anders. Wir denken nicht viel an morgen und hoffen nur zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Wir versuchen ein wenig zu sparen, nachdem wir nun zusätzlich die Raten des Sohnes für das Haus zahlen. Er hat den Kontakt mit uns abgebrochen, schon vor dem Auszug, als wir uns seinen Plänen in den Weg stellten, das Haus für 28 Jahre der Bank zu verpfänden. Wir sind weder enttäuscht noch sauer auf ihn. Es kommt, wie es kommen soll. Vielleicht findet sich auch ein Käufer für das Haus.

Ein Teil meiner Vergangenheit musste ich auch hinter mir lassen, als die Festplatte des alten PCs den Geist aufgab. Ich habe mir einen neuen gekauft und dabei das Bemühen, die Fotos und Daten noch zu retten, nicht aufgegeben. Es gilt dennoch loszulassen. Verabschieden musste ich mich auch von meinem Schwager, der sechs Jahre vor uns nach Chiang Mai auswanderte, während seine thailändische Frau, also die Schwester meiner Gattin, in Deutschland blieb. Er ging mit starken Leibschmerzen ins Krankenhaus und verstarb am folgenden Tag an einer geplatzten Bauchaorta. Er war glücklich in seiner selbst gewählten Heimat und ist uns nun in die andere vorausgegangen. Doch was einzig zählt ist die Gegenwart.